Geschichte der Effektgeräte

Von Dr. Ampus Digitalis

Die Geschichte der Gitarreneffekte ist eine Geschichte voller Missverständnisse

Wer hat sich eigentlich die Gitarreneffekte ausgedacht? Die Industrie, ein Studio-Mensch oder Musiker selbst?

Es hat ja niemand gesagt: “So, Leute, nun wollen wir mal den Verzerrer erfinden!“. Viele Effekte haben wie der Hall und das Echo ihr Vorbild in der Natur, andere wurden per Zufall entdeckt und zunächst unter höchst „analogen“ Bedingungen von Gitarristen realisiert. Wer jetzt was entdeckt und erfunden hat, ist nicht immer herauszufinden; die „Erfindung“ des Overdrive-Effekts schreiben sich selbst etliche Berühmtheiten auf die Brust.

Aber es gibt einige schöne Anekdoten über die Entstehung und Entwicklung von Effekten.

1964 wollte uns Maestro mit seiner Fuzz-Tone-Zeichnung wohl zeigen, dass ein über einen Verzerrer spielender Gitarrist „so“ auszusehen habe:

Ich vermute mal, Keith Richards wird einen Lachkrampf wegen der Kleidung und der vorbildlichen Haltung des „Bankers“ bekommen haben. Jedenfalls hat er mit diesem Fuzz-Tone aber mit «etwas» anderer Kleidung ;-) , Haltung und Frisur dann den legendären Anfang von „Satisfaction“ eingespielt.

Zurück zum Anfang, zur Entstehung von Effekten:

Verzerrer/Overdrive/Distortion

1961 wurde wahrscheinlich zum erstenmal bewusst ein Overdive-Effekt genutzt: Im „Quonset Hut“ Recording Studio in Nashville, es gehörte Harold und Owen Bradley, wollte Gitarrist Grady Martin ein Solo zu Marty Robbins „Don´t Worry“ hinlegen, als der röhrengetriebene Mixerkanal anfing zu zerren. Er war defekt. Normalerweise wären die Aufnahmen gestoppt und erst der Mixer repariert worden. Aber die Leute mochten diesen verzerrten Gitarrenton und mixten ihn so ab. Möglicherweise der erste Tube-Tone Overdrive weltweit!?

Andere Musiker fanden den Sound ebenfalls genial und mieteten sich zu Aufnahmen in dem Studio ein. Aber der Mischer war bereits repariert und der Overdrive verschwunden. Jemand lötete dann mit ein paar Transistoren eine Schaltung zusammen, die einen entfernt ähnlichen Distortion-Sound erzeugte. Andere Freaks versuchten Overdive-Effekte zu erzeugen, indem sie Löcher in die Membranen ihrer Speaker stachen! Manche Gitarristen knallten ihren eingeschalteten Röhrenamp vor dem ersten Stück auch einmal kurz und heftig auf die Bühne. Dadurch waren besonders die Endröhren fast hinüber und lieferten eben einen total kaputten Sound. Aber nicht sehr lange, dann waren sie total defekt und noch einiges mehr kaputt.

Die Musikindustrie folgte dem Wunsch der Musiker mit der Herstellung teilweise haarsträubend klingender Fuzz-Boxen; viele jedoch wurden legendär, besonders als es in den Siebzigern gelang, die harmonische Übersteuerung von Röhren recht gut nachzubilden.

Leo Fender hat Zeit seines Lebens versucht, durch unempfindliche Eingangskanäle usw. verzerrungsfreie Verstärker zu produzieren. Kaum hatte er es seiner Meinung nach geschafft, begannen die Gitarristen mit allen Mitteln, den Amp zum Zerren zu bewegen. Mit Erfolg!

Echo/Delay/Hall/Reverb

Der räumliche Klang bei Liveauftritten in Hallen hat immer schon bei den Gitarristen den Wunsch nach einem transportablem Hall bzw. Echo aufkommen lassen. Bis zum röhrengetriebenen Bandecho, einer Hallspirale oder einem Analog-Delay war es aber noch ein weiter Weg. Vorerst musste man sich in Studios mit Hall- und Echoräumen (ein grosser, leerer Raum mit stark reflektierenden Wänden; an einem Ende ein Lautsprecher, am anderen Ende ein Mikrofon, welches nun die Delays aufnahm) begnügen.

Les Paul, der unter dem lustigen Namen „Lester William Polfus“ geboren wurde, erfand dann das Echogerät, indem er bei seiner Bandmaschine einen zusätzlichen und verschiebbaren Wiedergabekopf einfügte. Durch die Zeit, in der das Band vom Aufnahme- zum Wiedergabekopf lief, entstand ein verzögertes (=delayed) Signal: Das erste Bandecho. Später führte er über einen Regler das Echo dem Eingang wieder zu, und nun gab´s auf Wunsch viele Echos, die immer flatteriger, leieriger, dumpfer und verzerrter wurden. Die begehrtesten und teuersten Serien-Echogeräte waren die „Echoplex“-Teile. Doch in den 50s war nicht in jedem Studio eine Echo-Chamber vorhanden. Als Duane Eddy „Rebel-Rouser“ und „Movin´´N´Groovin´“ aufnahm, besorgte man sich geschwind einen 500 Gallonen fassenden Wassertank, nur ohne Wasser eben. Dafür aber wieder mit einem Speaker und einem Micro gefüllt. Dies war die Echo/Reverb-Einheit für die Aufnahmen. Da der Tank nicht in´s Studio passte, wurde er draussen aufgestellt. Ab und zu mussten ein paar Vögel verscheucht werden, die auf dem Tank herumliefen und pickten, und wenn ein Flugzeug vorbeiflog, mussten die Aufnahmen kurz unterbrochen werden, denn: Das Micro im Wassertank nahm allles auf! «Songs & Birds & Aeroplanes». Wär´ ein recht guter Titel für ein Stück! Oder? :-)

Erst Mitte der Siebziger konnten Echos mit „Analog Delays“ erzeugt werden. Durch immer kleiner und leistungsfähiger werdende Microchips liessen sich die Signale in der „Bucket Brigade Technology (Eimer-Ketten-Prinzip)“ genannten Schaltung für kurze Zeit in Kondensatoren speichern und als Echo wieder abrufen. Das verzerrte auch oft recht deftig und dumpfer wurde es auch. Die Geschwindigkeit war stufenlos regelbar. Noch später folgten dann die zunächst fast unbezahlbaren „Digital Delays“, bei denen sich der Klang auch bei längeren Delayzeiten nicht verschlechterte.

Tremolo/Vibrato

Dies waren die ersten Gitarreneffekte, die ab Ende der 40er Jahre serienmässig erhältlich waren. Während Tremolo ein periodisch lauter und leiser werdendes Signal ist, meint Vibrato eine gleichmässige Tonhöhenveränderung, in erster Linie durch unsere Jammerhaken, also die Vibratoeinheiten auf unseren Gitarren, bekannt. Die Erfindung wird Paul Bigsby zugeschrieben. Das erste ultra-analoge Tremolo von DeArmond wurde mit einem Elektromotörchen mit einer ungleichmässig werkelnden Scheibe, die an ein mit Quecksilber gefülltes Röhrchen klopfte und damit die Schaltung periodisch öffnete und schloss, erzeugt. Unglaublich heute!

Fender´s Uralt-Dimension IV arbeitete ebenso unglaublich mit einer mit Öl gefüllten Dose nebst Motor, um Tremolo zu erzeugen! Die bekanntesten Tremolos waren: Das Fender Style mit einem LFO (low frequency oszillator=langsam schwingender Tongenerator), der pulsierend eine Lichtquelle antrieb, die dann von einem lichtempfindlichen Widerstand abgetastet wurde. Und das von VOX und Fender verwendete Bias-Tremolo, das mit einer Röhrenschaltung arbeitete und ein Gemisch aus Tremolo und Vibrato erzeugte.

Chorus/RotaryFlanging/Phasing

Alle Effekte haben etwas gemeinsam: Durch Tonhöhenveränderungen oder periodisch gesteuerte Filter werden quirlige, soundandickende, swooshige Klänge erzeugt, deren Ursprünge teils mechanischer, teils elektronischer Natur sind. Flanging wurde von mehreren „entdeckt“, John Lennon z. B. Aber schon 1945 hat besagter Lester Polfus eine Gitarrenspur auf zwei Bandmaschinen gleichzeitig aufgenommen, wovon bei einer die Geschwindigkeit regelbar war. Beim synchronen Abspielen beider Maschinen „erfand“ Les Paul dann diesen Effekt, in dem er die Geschwindigkeit einer Maschine manuell veränderte. Durch die winzige Zeitverzögerung zu der konstant laufenden Maschine entstanden im Frequenzband Spitzen und Löcher, die auf- und abschwangen: Kammfiltereffekte. Später spielte jemand auf ähnliche Weise zwei Bandmaschinen ab und drückte ab und zu bei einer mit dem Finger an die Spule (englisch: Flange). Als Analoge Echogeräte erhältlich waren, konnte man den Effekt auch als Bodentreter herstellen und nannte ihn – wär hätt´s gedacht – Flanger. Durch eine regelbare Rückführung des Signals auf den Eingang lässt sich hier der Effekt noch steigern.

Chorus ist mit dem Flanging sehr verwandt, nur mit einer längeren Verzögerungszeit: Das verzögerte Signal „eiert“ langsam sinus- oder rechteckförmig um den Grundton, der natürlich auch zu hören sein muss. Dadurch entsteht ein seht dichter und quirliger Effekt, so als würden zwei das Selbe spielen. Diesen Effekt gibt es als Rotary-Speaker, also z. B. als „Leslie“ schon mindestens seit den 30er Jahren für Hammond-Orgeln. Ein schöner und schön schwerer Holzschrank von mindestens Kühl- Gefrierschrank-kombinationsschrankgrösse enthält ein rotierendes Hochtonhorn und eine Trommel mit Öffnungen, die sich um einen feststehenden Basslautsprecher dreht. Dopplereffekt nennt sich die dadurch entstehende Tonhöhenschwankung. In Verbindung mit dem starren Orgelspeaker entsteht bei langsamer Rotation ein Chorus. Diese Leslie-Aggregate wurden in den Siebzigern so ab der Deep Purple „Child In Time“-Zeit immer beliebter (bei Roadies nicht). Eine Hammond durch einen übersteuerten Röhrenamp und dann ins Leslie, das war der Bringer! OK, zwei bis vier Micros mussten schon noch darum aufgestellt werden, um das An- und Ablaufen der Rotoren einzufangen.

Der erste elektronische Chorus war 1976 Roland´s CE-1. Es folgten unzählige weitere, nicht nur Bodentreter, sondern auch Studioteile wie der Song-Bird Tri-Stereo Chorus. Dieser schweineteure analoge Chorus füllte mit drei unabhängigen Chorusschaltkreisen,12 LFOs (watt is dattenn? Siehe oben!), und drei separaten Delay-Lines jeden Raum.

Mit Phasing war ursprünglich etwas ganz anderes gemeint. Durch Phasenverschiebungen entstehen Löcher im Frequenzgang; für Radiostationen wurden in den 50ern deshalb Geräte entwickelt, mit denen man Störgeräusche aus dem zu sendenden Material herausfiltern konnte. Wenn man aber so einen Phasenverschieber manuell schnell im Frequenzspektrum hin- und herdrehte, entstanden flüssig phasig und filterige Effekte, die etwas an ein Leslie erinnerten. Aber erst Anfang der 70er gelang es Synthy-Pionier Tom Oberheim, einen Phaser als Bodentreter zu entwickeln. Wieviele Löcher im Frequenzgang sind, nennt man bei einem Phaser „Stages“.

Hier schliesst sich im Moment der Kreis. Sicherlich gibt es noch mehrere Anekdoten aus der Welt der Gitarren-, Bass- und Keyboard-Effekte. Wenn Du da etwas aussergewöhnliches kennst, schreib es hier gern hinein.

Dr. Ampus Digitalis


Dieser Beitrag erschien ursprünglich im Diskussionsforum von Islermusic. Die letzte Anmerkung von Dr. Ampus Digitalis ist insofern überholt, wurde aber aus Gründen der Authenzität unverändert übernommen. Wer gern mit Dr. Ampus Digitalis in Kontakt treten möchte, mag dem Professor eine E-Mail schreiben - er leitet die Nachricht dann gern an den Kollegen weiter.

Tubinger



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