Ein bißchen weniger als Unendlich...

...oder wieviele Sounds hat der POD eigentlich?

Unendliche Vielfalt. Eine nie dagewesene Anzahl an Variationsmöglichkeiten. Echt? Mit solchen Aussagen heißt es vorsichtig zu sein. Mit Schaudern erinnert der gute Professor sich an das Gerichtsurteil, welches die Firma Hammond einst dazu verdonnerte, nicht mehr mit der Aussage "unendlich viele Sounds" für ihre Orgeln zu werben. In Wirklichkeit waren es nämlich nur ein paar Millionen...

Ja wieviele unterschiedliche Sounds hat denn der POD nun eigentlich? Diese Frage soll das vorliegende Vorlesungs-Manuskript klären. Ein Blick in die POD Sysex-Spezifikation belehrt uns, daß die gesamten Daten für die Übertragung eines Patches 72 Bytes lang sind. Nun sind 72 Bytes nicht gerade viel. Das angeblich meistbenutzte Textverarbeitungsprogramm für das angeblich meistbenutzte Betriebssystem benötigt selbst für eine so knappe Aussage wie "Los, Fee, bück' Dich! Wunsch ist Wunsch!" bereits stolze 19456 Bytes. Die 72 POD-Bytes erscheinen demgegenüber jämmerlich gering. Doch rechnen wir mal: 72 Bytes sind 576 Bit. Theoretisch ergeben sich 2 hoch 576 Möglichkeiten, das sind
247.330.401.473.104.534.060.502.521.019.647.190.035.131.349.101.
211.839.914.063.056.092.897.225.106.531.867.170.316.401.061.243.
044.989.597.671.426.016.139.339.351.365.034.306.751.209.967.546.
155.101.893.167.916.606.772.148.699.136

oder 2,473 mal 10 hoch 173. Für diese Fantastilliarden kennt die Mathematik kein spezielles Wort mehr. Sagen wir einfach erstmal 'ziemlich viel' dazu - solche Zahlen gibt es sonst nur bei Dagobert Duck.

Wer jetzt nachrechnen möchte und dafür die angeblich meistverbreitete Tabellenkalkulation der Welt benutzt, der sollte wissen, daß diese (wie viele andere) nur mit maximal 19 signifikanten Stellen rechnet und daher als Ergebnis für 2 hoch 576 stolze
247.330.401.473.105.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.
000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.
000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.
000.000.000.000.000.000.000.000.000.000

rausbekommt - das sind ein paar zuviel. Das ist zwar in diesem Zusammenhang für die Größenordnung nicht bedeutend, sollte aber aus Gründen der Nachvollziehbarkeit erwähnt werden. Und der Professor ist ja der akademischen Wahrheit verpflichtet.

Sind wir jetzt bereits mit unseren Berechnungen fertig? Keineswegs! Ganz so einfach darf man sich die Rechnung nun doch nicht machen. Es sind etliche ungenutzte Reserven in den 72 Bytes vorhanden. Auch gibt es ein paar Amps ohne Bright- und Presence-Switch, und wieder ein paar Bytes werden nur für bestimmte Effekte benutzt. Dann nutzt der POD den Zahlenraum eines Bytes nur zur Hälfte (nämlich bis 127) aus. Und wer ganz genau hinsieht, wird merken, daß außerdem alle Knöpfe nur gerade Zahlen als Sysex-Daten liefern (0, 2, ... bis 126). Insgesamt umfassen die 'stufenlosen' Regler des POD also jeweils 63 verschiedene Werte (wobei das nicht gerade wenig ist, das bedeutet nämlich allein für die Klangregelung Bass, Middle und Treble 63 * 63 * 63 = 250047 verschiedene Möglichkeiten - dazu gleich mehr). Die Gesamtzahl der mit dem POD erreichbaren Sounds liegt also 'ein bißchen' unter dem eben genannten Wert. Eigentlich wird nur ein Bruchteil dieses Spielraums ausgenutzt. Aber ein hinreichend großer, wie sich im Laufe dieses Vortrags herausstellen wird. Legen wir also los.

Die Basis: Wenden wir uns erst einmal den Grund-Sounds zu. Dabei betrachten wir zunächst nur die Basisausstattung, die alle 28 Amp Models gemeinsam aufweisen. Es gibt 63 verschiedene Möglichkeiten für Drive. Ebensoviele jeweils für Bass, Middle und Treble. Channel Volume lassen wir ganz weg, weil es den Sound im Prinzip nicht ändert (wobei hiermit natürlich keinesfalls das universelle Grundprinzip "lauter ist besser" in Frage gestellt werden soll!). Aus demselben Grund lassen wir den Drive-Switch weg. Die Floorboard-Switches für Delay, Modulation und Reverb stellen 'nur' Shortcuts für bestimmte Bypass-Konfigurationen dar und müssen daher ebenfalls leider draußen bleiben. Sie erhöhen zwar die Anzahl der Sounds, die man live in einer Bank erreichen kann, aber nicht die Anzahl der insgesamt möglichen Sounds. Bright und Presence (EQ Switch am Floorboard) betrachten wir erst später, bleibt also noch der Distortion-Switch mit zwei Möglichkeiten (an oder aus). Insgesamt sind wir jetzt also bei 63 * 63 * 63 * 63 * 2 Sounds. Sind schonmal 31.505.922 , schlappe 31 Millionen Grund-Sounds für jedes Amp Model.

Die Switches: Von den 28 Amp Models haben acht überhaupt keine weiteren Switches (Small Tweed 1 und 2, Black Panel, Brit Class A 1, 2 und 3, Modern Hi Gain und Boutique 2) und zählen also jeweils nur mit 31.505.922 . Halten wir fest: 8 * 31.505.922 .

Der Black Panel 2 hat einen Bright Switch, aber kein Presence und zählt daher doppelt (einmal Bright an, einmal Bright aus). Halten wir fest: 1 * 31.505.922 * 2 .

Dann gibt es zwölf Amps ohne Bright-Switch, aber mit Presence (Tube Preamp, Tweed Blues, Modern Class A, Brit Classic, Brit Hi Gain, Rectified 1 und 2, Fuzz Box, Boutique 1, Boutique 3, California Crunch 2 und Modern Hi Gain 2). Der Presence Regler umfaßt einen Regelbereich von 63 Möglichkeiten; der Presence Switch am Floorboard schaltet die Presence auf 'voll' und ist somit in diesen 63 bereits enthalten. Halten wir also fest: 12 * 31.505.922 * 63 .

Bleiben sieben Amps, die sowohl über Bright als auch über Presence verfügen (die vier Line 6 Signatures sowie Brit Blues, Jazz Clean und California Crunch 1). Hier halten wir fest: 7 * 31.505.922 * 63 * 2 .

Und jetzt nochmal für alle 28 Amp Models zusammengefaßt:


     8  * 31.505.922          =    252.047.376
     1  * 31.505.922      * 2 =     63.011.844
    12  * 31.505.922 * 63     = 23.818.477.032
     7  * 31.505.922 * 63 * 2 = 27.788.223.204
                               ----------------
                                51.921.759.456

Bis jetzt sind es noch nicht einmal 10 verschiedene Sounds je Erdenbürger. Deshalb sollten wir diese Zahl jetzt noch schnell mit 16 multiplizieren, denn schließlich gibt es ja 16 verschiedene Speaker Simulations. Macht also dann 830.748.151.296 . Uuups, das sind ja über 830 Milliarden.

Schließlich sollten wir den Reverb nicht vergessen. Ohne daß wir jetzt tiefer in die Diskussion einsteigen, ob der Reverb zum Amp gehört oder bereits ein Effekt ist - in jedem Fall steht er unabhängig von den anderen Effekten zur Verfügung, und das in zwei verschiedenen Varianten (Hallspirale oder Digital-Hall). Also schnell noch mal 2 mal 63, macht 104.674.267.063.296 .

Diese gut 104 Billionen verschiedene Sounds sind eine gute Ausgangsbasis für das nun Folgende, denn schließlich steht bis zum jetzigen Zeitpunkt der Effects-Drehknopf noch auf Bypass. Wer mag, darf sich vor dem Weiterlesen ein paar Kopfschmerztabletten einwerfen.

Die Effekte: Es stehen 16 Effekte/Kombinationen zur Auswahl, Bypass bereits mitgezählt. Jeder Effekt verfügt über unterschiedliche Einstellmöglichkeiten. Den Effects Tweak Regler werden wir vollkommen ignorieren, da er nur jeweils eine "Abkürzung" für bestimmte Effekt-Parameter bereitstellt. Betrachten wir also die Effekte einzeln.

Der Compressor verfügt über fünf verschiedene Möglichkeiten. Eigentlich sind es sechs, aber "off" ist das gleiche wie Bypass und fällt daher raus. 5 im Sinn.

Das Tremolo kennt die zwei Parameter Speed und Depth. Speed hat 12 Bit, macht (2 hoch 12) 4096. Eine Möglichkeit davon ziehen wir ab, die wird nicht verwendet, bleiben 4095. Genauso machen wir das im Folgenden auch mit den anderen Werten. Depth hat sechs Bit, sind 63. 4095 * 63 ist 257.985 . Merken wir uns für später.

Die beiden Chorus-Varianten haben je vier Parameter und führen somit die Hitliste der Parameter-Charts an. Speed mit 13 Bit bringt es auf 8191 verschiedene Werte, Depth hat nur 9 Bit, sind immerhin 511. Feedback mit 6 Bit (den naheliegenden Hinweis auf ein Pils aus der Eifel verkneift der Professor sich an dieser Stelle mal) bringt 63, und PreDelay mit 10 Bit gibt 1023. Macht zusammen je Chorus 8191 * 511 * 63 * 1023 = 269.757.798.849 .

Bei den Flangern sieht es etwas magerer aus: Sie haben kein PreDelay bei ansonsten gleich großen Parametern. Somit je Flanger 8191 * 511 * 63 = 263.692.863 .

Das Rotary Cabinet verfügt über zwei einstellbare Geschwindigkeiten, von denen aber immer nur eine zur gleichen Zeit benutzt werden kann. Da zudem die Regelbereiche fast deckungsgleich sind, wird nur eine der beiden Geschwindigkeiten berücksichtigt. Immerhin 12 Bit und somit 4095 Möglichkeiten. Dann noch die Depth einmultipliziert, ergibt 4095 * 63 = 257.985 . (Ist genausoviel wie beim Tremolo, klingt ja auch so ähnlich. Aber wir wollen uns hier natürlich nicht mit solch unwesentlichen Dingen wie dem Klang selbst aufhalten...)

Beim Delay sind 17 Bit für die Time vorgesehen, was 131.071 Möglichkeiten ausmacht. Feedback und Level schlagen je mit 63 Varianten zu Buche, dann haben wir also 131.071 * 63 * 63 = 520.220.799 .

Bei den Kombinationen gibt es weder für das Delay noch für den jeweils anderen Effekt irgendwelche besonderen Einschränkungen, so daß sich die Möglichkeiten hier einfach multiplizieren (die Möglichkeiten multiplizieren sich natürlich nicht selbst, aber Ihr wißt ja, wie der Professor das meint).

Delay mit Compressor sind 520.220.799 * 5 = 2.601.103.995 .

Delay mit Chorus sind 520.220.799 * 269.757.798.849 = 140.333.617.653.708.060.351 . Uff.

Delay mit Flanger sind 520.220.799 * 263.692.863 = 137.178.511.880.457.537 .

Delay mit Tremolo sind 520.220.799 * 257.985 = 134.209.162.830.015 .

Delay mit Swell geht nicht so einfach, da Swell einzeln nicht auftritt. Hierfür sind 6 Bits und somit 63 weitere Möglichkeiten zu veranschlagen. Ergebnis also 520.220.799 * 63 = 32.773.910.337 .

Fassen wir mal die 16 Effekte zusammen:


    Compressor                                   5
    Tremolo                                257.985
    Chorus 1                       269.757.798.849
    Chorus 2                       269.757.798.849
    Flanger 1                          263.692.863
    Flanger 2                          263.692.863
    Rotary Speaker                         257.985
    Delay                              520.220.799
    Delay + Compressor               2.601.103.995
    Delay + Chorus 1   140.333.617.653.708.060.351
    Delay + Chorus 2   140.333.617.653.708.060.351
    Delay + Flanger 1      137.178.511.880.457.537
    Delay + Flanger 2      137.178.511.880.457.537
    Delay + Tremolo            134.209.162.830.015
    Delay + Swell                   32.773.910.337
    Bypass                                       1
                      -----------------------------
                       280.941.727.116.278.600.322

In Worten sind das gut 280 Trillionen. Den AIR Schalter auf der Rückseite ignorieren wir. Er ändert zwar den Klang, dient aber eigentlich der Anpassung an das Umfeld und sorgt bei falscher Einstellung für lediglich sub-optimalen Klang.

Jetzt sind wir eigentlich schon fast fertig (der Professor jedenfalls). Wir haben 104.674.267.063.296 verschiedene Grund-Sounds. Jeder von diesen kann mit maximal 280.941.727.116.278.600.322 verschiedenen Effekt-Sounds kombiniert werden. Also schnell den Rechenschieber gezückt (bis hierher ging's ja im Kopf) und beide Zahlen miteinander multiplizieren.

Es ergeben sich

29.407.369.373.392.973.816.043.284.259.981.312

Möglichkeiten. Das sind 29 Quintilliarden. 2,94074 mal 10 hoch 34. Fast eine 3 mit 34 Nullen. Aber natürlich nur fast.


Aber jetzt haben wir wenigstens für jeden Erdenbürger knapp 5 Quadrillionen verschiedene Sounds. Es ist aber im Rahmen des weitverbreiteten Patch-Austauschs zu erwarten, daß auch mal der eine oder andere Sound von mehreren Erdenbürgern (und -rinnen) verwendet wird.

Bei aller Vielfalt soll zum Schluß nicht verschwiegen werden, daß die Digitaltechnik nun wirklich nicht alles kann. Eine Sache bleibt für immer der echten, guten alten Röhrentechnik vorbehalten: Die Vielfalt der unterschiedlichen Sounds, die ein Röhrenamp bei ein und derselben Einstellung produzieren kann, einfach so nach dem Wiedereinschalten über Nacht...

Tubinger



Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf der Web-Seite von Islermusic, zu einer Zeit, als diese Firma noch durch den von Prof. Tubinger hochgeschätzten Jacques Isler geleitet wurde. Eben dieser Jacques Isler stellte nach der Vorlesung eine Frage an den Professor. Die Frage zeigt die Dimension des Ganzen anschaulich auf und es ist bezeichnend, daß eine solche Frage nicht von einem Theoretiker wie dem Professor, sondern von einem Praktiker wie Jacques Isler gestellt wurde.

Jacques fragte:
Also wenn ich jetzt heute um 12’00 beginne jeden POD-Sound auszuprobieren und dafür jeweils eine Sekunde bräuchte, wie lange muss ich mir frei nehmen?

Die Antwort von Prof. Tubinger:

Also, ein Tag hat 60 * 60 * 24 = 86.400 Sekunden. Bei einem Phänomen dieser Dimension müssen wir für die Berechnung der Länge eines Jahres natürlich die korrekte Umdrehungszeit der Erde von 365,2564 Tagen zugrundelegen - das erspart uns zudem die zusätzliche Berücksichtigung von Schaltjahren.

Ein Jahr hat somit 86.400 * 365,2564 = 31.558.152,96 Sekunden
im Durchschnitt. Im Verlaufe des Betrachtungszeitraums (s.u.) dürfte die Erddrehung sich verlangsamen; da die genauen Werte aber noch nicht bekannt sind und die zu erwartenden Veränderungen sich allenfalls im Nanobereich auswirken werden, sollen sie hier unberücksichtigt bleiben.

Es ergibt sich ab 12:00 heute mittag ein Zeitraum von 29.407.369.373.392.973.816.043.284.259.981.312 / 31.558.152,96 = 931.846.975.032.627.949.340.013.727,46947076 Jahren für den Test aller Sound-Möglichkeiten des POD. Die Berechnung fördert eine ganze Reihe weitere Nachkommastellen zutage, wir begnügen uns hier aber mal ganz unakademisch mit einer Genauigkeit im Mikrosekundenbereich und lassen die zusätzlichen Nachkommastellen weg.

Salopp formuliert, ergibt sich also ein Testzeitraum von 931 Quadrillionen Jahren (ab heute mittag um 12:00). Überträgt man diese Aufgabe der gesamten Menschheit, so sind es nur mehr etwa 232.961.743.758.156.987,335 Jahre, also 232 Billiarden Jahre.

Es steht somit zu erwarten, daß angesichts der begrenzten Lebenserwartung unseres Planeten diese Aufgabe andernorts zuende geführt werden muß. Vielleicht wird auch die eine oder andere Variante niemals entdeckt...

Tubinger


Nachtrag: Inzwischen ist die Version 2 des POD-Betriebssystems erschienen und damit die Anmerkung erforderlich, daß obige Betrachtungen selbstverständlich nur für die alte, erste Version gelten.
Der Professor arbeitet bereits an einer Erweiterung, die auch die neue Version berücksichtigt.



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